Interview mit den
Machern des Bilderbuchs:
Frage: Bernd Killinger und Thomas Raif, herzlich willkommen
zu diesem Autoreninterview. Sie haben gemeinsam ein Bilderbuch mit dem Titel
„Alles hört auf mich“ herausgebracht. Es handelt von wichtigen
Entscheidungsträgern unserer Zeit und richtet sich an Kinder ab 4 Jahren. Was
veranlasst sie ein „Bestimmer-Buch“ zu veröffentlichen, wo viele
Entscheidungsträger offensichtlich ein Imageproblem haben, weil sie enorme
Gagen kassieren, nicht in der Lage sind die ihnen gestellten Aufgaben guten
Lösungen zuzuführen (Stichwort EU-Schuldenkrise) oder weil sie persönlich
Schwächen zeigen (Stichwort Korruptionsvorwürfe gegenüber FIFA-Funktionäre).
Bernd Killinger: Wir haben natürlich kein Buch über die
Schuldenkrise oder die charakterliche Eignung von Spitzenfunktionären gemacht. Das
läge uns fern. Uns geht es um etwas ganz anderes. Mein Sohn, der jetzt sechs
Jahre alt ist, kam vor zwei Jahren aus dem Kindergarten nach Hause und hat sich
von Mama eine Verkleidungskiste gewünscht. Mit Freunden hat er dann immer
verkleiden gespielt. Mal war er Feuerwehrmann, mal Pirat und mal Häuptling.
Natürlich ging es nur vordergründig ums Verkleiden. Hauptsächlich ging es im
Spiel mit Freunden darum, wer heute das
Sagen hat, wer also der „Bestimmer“, so haben es die Kinder selbst genannt, war.
Dieses Spiel, ich behaupte, dass es vermutlich zu den ältesten Spielen der Welt
gehört und seit Menschengedenken besteht, habe ich bereits in meiner Kindheit
gespielt und bei Thomas, der ja noch eine Generation älter ist als ich (lacht),
war es genauso.
Thomas Raif: Jede Zeit hat ihre Bestimmer. Die sind mal
besser und mal schlechter. Darum geht es in unserem Buch aber gar nicht. In
unserem Bilderbuch geht es vielmehr darum, dass Menschen in einer Gesellschaft
und insbesondere im Berufsleben eine bestimmte Rolle übernehmen. Fast immer
kommt es zu mehr oder weniger starken hierarchischen Zuweisungen mit dem
Ergebnis, dass einer „bestimmt“, das ist der klassische Entscheidungsträger,
und die anderen folgen und umsetzen. Wir Erwachsenen haben dies verinnerlicht.
Kinder müssen diese Rollen jedoch erst erlernen und einstudieren. Dabei hilft
dieses das Bestimmer-Spiel und unser Buch.
Frage: Im Buch werden insgesamt zehn Bestimmer genannt.
König, Pirat, Kommandeur, Oberbürgermeisterin, Richter, Vorstandsvorsitzende,
Kapitän, Feuerwehrmann, Handwerksmeister und Häuptling. Mir fallen noch weitere
wichtige Entscheidungsträger ein, die nicht berücksichtigt sind: der
amerikanische Präsident, der Chef der Europäischen Zentralbank, die Scheichs
der OPEC. Warum werden diese nicht genannt? Interessieren würde mich auch noch,
warum ein Häuptling aufgeführt ist, der bekanntlich seine Wurzeln nicht in
Europa hat und auch in Nordamerika im Rahmen der Besiedelung entmachtet wurde
und ein Handwerksmeister, der gefühlt bei weitem nicht annähernd über einen
vergleichbaren Einfluss verfügt, wie die anderen Akteure.
Bernd Killinger: Die Liste der ausgewählten Bestimmer hat
sich mehr oder weniger aus dem Spiel meines Sohnes hergeleitet. Sie folgt keinen wissenschaftlichen Kriterien.
Dennoch ist sie nicht willkürlich. Es sind die Bestimmer aufgelistet, die
Kindern ab 4 Jahren geläufig sind und auch wenn es in Europa keine Häuptlinge
gab, so ist der Häuptling doch zentraler Bestandteil der Gedankenwelt unserer
Kinder. Machen wir uns nichts vor. Für unsere Kinder ist er sogar noch viel
wichtiger als die Vorstandsvorsitzende. Das Gleiche gilt übrigens auch für den
Handwerksmeister, der bei unserem Nachwuchs eine sehr hohe Anerkennung genießt.
Hätten Sie nicht mir, sondern meinem Sohn diese Frage gestellt, ich vermute,
der hätte sie auf eine Art und Weise gerade gerückt, dass sie sich wundern
würden. Der Meister ist nicht nur aufgrund seiner wertgeschätzten fachlichen
Qualität ein echtes Vorbild für unsere Kinder, sondern vermutlich auch, weil
tatsächlich viele Papas Meister sind. Er ist quasi der Held zum Anfassen, was
man von König und Pirat ja nicht gerade sagen kann.
Thomas Raif: Die großen Zeiten von König, Pirat und
Häuptling sind tatsächlich vorbei. Gerade diese Figuren sind jedoch bis heute
die Lieblingsfiguren der Kinder beim Bestimmerspiel. Man kommt an ihnen einfach
nicht vorbei. Und ganz ehrlich, auch viele Erwachsene sind von diesen Figuren
fasziniert. Die Mischung aus drei historischen und sieben aktuellen Bestimmer
ist deshalb eine gute Mischung. Ansonsten kann ich nur eins sagen, wer nach dem
Kauf des Buches noch „Bestimmer“ vermissen sollte, der kann uns ja eine E-Mail
schreiben. Wer weiss, vielleicht nehmen wir den einen oder anderen bei einer
Neuauflage des Buches mit auf (Thomas Raif und Bernd Killinger lachen).
Frage: Das Buch endet mit einer Doppelseite, in der sieben
Spielregeln für das Bestimmer-Spiel vorgestellt werden. Was hat es damit auf
sich?
Bernd Killinger: Auch dieser Teil war im Ur-Manuskript noch
nicht enthalten. Er kam erst im Rahmen der ersten Korrekturphase hinzu. Eine
gute Freundin hat nach Durchsicht des Manuskriptes zu mir gesagt: „Bernd, das
ist alles schön und gut und natürlich spielen auch meine Kinder König, Meister
und Bestimmer. Was mir jedoch fehlt ist der Hinweis, dass zu Hause, wenn das
Spielen vorbei ist, die Mama das Sagen hat.“
Mit dieser Doppelseite wurde dieser und andere Wünsche aufgegriffen und
in einen Kontext gestellt. Auch Thomas hatte einen sehr wichtigen Einwurf. Er
verwies darauf, dass jeder König natürlich auch ein Volk – die Untertanen –
braucht. Seit Jim Knopf wissen wir, dass das Volk sehr klein sein kann. Der
König von Nimmerland hat gerade einmal vier Untertanen. Aber ohne Untertanen
geht es nun mal nicht. Auch das wurde auf dieser Doppelseite aufgegriffen.
Thomas Raif: Für das Bilderbuch hätte das zu weit geführt,
aber im Rahmen dieses Interview halte ich es für durchaus interessant: Leader
brauchen follower, sonst funktioniert das Konzept eines hierarchischen
Miteinanders nicht. Wie schwierig es ist, wenn es auf der einen Seite klare
hierarchische Strukturen gibt und auf der anderen Seite nicht, sieht man am
Beispiel des Häuptlings. Indianerstämme sind keineswegs immer hierarchisch
organisiert. Das Gegenteil ist sogar der Fall. In Indianerstämmen wurde der
Großteil aller wichtigen Entscheidungen von einer Gruppe – ein Ältestenrat oder
ähnliches – im Konsensverfahren getroffen. Ebenso weit verbreitet war, dass für
einzelne Bereiche, z. B. die Jagd ein Anführer gewählt wurde, der jedoch nur
für die begrenzte Zeit der Jagd mit besonderen Befugnissen ausgestattet wurde.
Als nun die Siedler aus Europa nach Nordamerika kamen, haben sie versucht große
Landflächen von den Ureinwohnern „abzukaufen“. Für die Verkaufsverhandlungen
brauchte es natürlich Verhandlungsdelegationen und zwar auf beiden Seiten. Bei
den Siedlern gab es klare hierarchische Strukturen. Es war klar, wer am Tisch
sitzen würde. Auf der Seite der Ureinwohner war das oft nicht der Fall. Die
Siedler haben deshalb oft kurzerhand einen „Häuptling“ ausgedeutet. Meistens
war das eine Person, von der sie glaubten, dass sie das Besprochene im Stamm
durchsetzen kann. Das ist ein Aspekt, von dem ich mir wünschen würde, dass ihn
zumindest die erwachsenen Leser im Hinterkopf behalten und wenn die Zeit reif
ist, dann auch mit ihren Kindern thematisieren.
Frage: Bevor wir zum nächsten Themenblock kommen, noch eine
kleine Frage zum Abschluss der ersten Fragerunde. Im Buch erklärt jeder
Bestimmer, wie er in englischer Sprache heißt. Warum?
Bernd Killinger: Das ist schnell gesagt. Ich spreche mit
meinen beiden Kindern nur Englisch. Für meinen Sohn ist der König deshalb schon
immer der King, der Häuptling der chief und der Kapitän der captain. Ich hielt
es einfach für eine witzige Idee, dieses Element mit in das Buch aufzunehmen.
Kinder lernen so leicht und spielerisch und gerade die englischen
Begrifflichkeiten saugen sie oft mit größter Freude auf. Die Freunde meines
Sohnes jedenfalls amüsieren sich immer köstlich, wenn die englischen Begriffe
verwendet werden.
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